Das im Februar 2017 gegründete Interdisziplinäre Zentrum Gender – Differenz – Diversität (IZGDD) versteht sich als Zusammenschluss und Ausbau klar vorhandener Schwerpunkte einer Reihe von Einzeldisziplinen. Ein zentrales Anliegen des Zentrums ist es, die gender-, differenz- und diversitätsbezogenen Interessen, Aktivitäten und Expertisen aus den verschiedenen Fachwissenschaften zu bündeln sowie durch interdisziplinäre Kooperationen neue Felder zu benennen bzw. zu erschließen und adäquate Ansätze für deren Erforschung zu entwickeln.
Gender
Die Geschlechterforschung wurde im Laufe der letzten zwei Jahrzehnte ausdifferenziert und hat sich in einigen Fächern bereits etabliert. In jüngster Zeit sieht sie sich zunehmend mit neuen Phänomenen konfrontiert, deren Bearbeitung verstärkt interdisziplinäre Kooperationen fordert – so etwa in Bereichen wie Genforschung und Intersexualität, Social Media bzw. digitale Lebenswelten sowie Globalisierung und Aufeinanderprallen verschiedener Kulturen. Die Gender Studies gehen von prozessualen Identitätsbildungen aus, die auch performative Akte und Stilisierungen des Körpers, unbewusste Effekte und imaginäre Identifikationen einschließen. Sie verfolgt außerdem den Ansatz der Intersektionalität im Sinne von Überschneidungen, Überlagerungen und Interdependenzen unterschiedlicher Identitätszuschreibungen.
Differenz
Differenzsetzungen, über die solche (Selbst- und Fremd-)Wahrnehmungen bzw. Zuschreibungen als Moment der Identifikation von Zugehörigkeit verlaufen, sind in diesem Zusammenhang von zentraler Bedeutung. Sie verweisen auf grundlegende Verständigungs- und Aushandlungsprozesse bei der Herstellung von gesellschaftlicher Ordnung. Die Differenzkategorie eröffnet in Form einer ‚Scharnierfunktion‘ insofern in systematischer Weise vielfältige Anknüpfungspunkte für unterschiedliche Fächer und für weitere interdisziplinäre Forschungsbereiche wie Postcolonial Studies sowie Migrations- und Globalisierungsforschung.
Diversität
Wenn Differenzen als Differenzierungen soziale Praxis werden, entsteht Diversität. Gruppen, Gemeinschaften und Gesellschaften waren und sind darauf angewiesen, Diversität kommunikabel zu machen. Ein heuristisches Diversitätskonzept kann jeweils akzeptierte von nicht-akzeptierten, begünstige von nicht-begünstigten Differenzen in ihrem Zusammenspiel in der Vielfalt analysieren. Dabei spielt der kategoriale Katalog von nachvollziehbaren und vollzogenen Differenzen und Differenzierungen eine erhebliche Rolle. Dieser ist historisch und sozio-kulturell äußerst veränderlich und verweist auf die gesellschaftliche Verfasstheit durch Normen, Werthaltungen und ihre jeweiligen Legitimationsstrategien. Mit der von vielen Disziplinen getragenen kritischen Diversitätsforschung sind theoretische Fragestellungen ebenso wie praktische Problemstellungen in Bereichen wie Erziehung, Recht und Wirtschaft verbunden.
Verschiedenheit/Gleichheit – Gleichbehandlung
Während durch die Differenzsetzung die Verschiedenheit zwischen Gruppenangehörigen betont wird, setzt die Forderung nach Gleichbehandlung die Feststellung wesentlicher Gleichheit zwischen den Gruppen voraus. Hieraus resultiert die Notwendigkeit der Festlegung und Definition von Merkmalen, die trotz der Differenz keine wesentliche Ungleichheit begründen können, und ihre Unterscheidung von Merkmalen, die zur Begründung wesentlicher Ungleichheit geeignet sein können. Diese Unterscheidung setzt den Rahmen für den Gleichbehandlungsgrundsatz. Soweit Differenzierungsmerkmale bereits durch Rechtsnormen einer dieser Merkmalsgruppen zugewiesen sind, bedarf es der interdisziplinären Zusammenarbeit zur Herausarbeitung von Definitionen und Konkretisierungen, um Gleichbehandlungsgebote inhaltlich ausfüllen zu können.
Interdisziplinäre Felder
Das interdisziplinäre Feld Gleichstellungsrecht unternimmt es, einerseits die grundlegenden Rechtsbegriffe interdisziplinär zu konkretisieren, andererseits aber auch bestimmte Anwendungsbereiche zu analysieren, in denen insbesondere statistisch nachweisbare, mittelbare Diskriminierungen wahrscheinlich sind. Begriffe wie ‚Rasse‘ und ethnische Herkunft, aber auch Geschlecht, Alter oder Behinderung bezeichnen im Gleichstellungsrecht Merkmale, an die eine Ungleichbehandlung nur bei Vorliegen einer sachlichen Rechtfertigung geknüpft werden darf. Für die inhaltliche (Aus)füllung solcher Begriffe ist ein interdisziplinärer Ansatz unverzichtbar. So kann der Begriff der ‚Rasse‘ kaum ohne Rückgriff auf die internationale Begriffsbildung in den Geisteswissenschaften (race), die ethnische Herkunft nicht ohne Blick auf das in der modernen Ethnologie entwickelte Verständnis und die ‚Behinderung‘ nicht ohne Berücksichtigung der Sichtweise der Medizin und der Ethik konkretisiert werden. Für die Aufdeckung mittelbarer Diskriminierungen bedarf es ferner der Erfassung der von einem bestimmten Differenzierungsmerkmal betroffenen Gruppe, um etwa die statistische Korrelation mit einem der verbotenen Merkmale zu bestimmen, die Grundlage der Feststellung einer Diskriminierung sein kann. Auch hier ist interdisziplinäre Zusammenarbeit unverzichtbar.
Nichtheteronormative Geschlechteridentitäten, also solche, die sich nicht in eine normative Matrix von Zweigeschlechtlichkeit einfügen lassen, sind in jüngster Zeit verstärkt ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Sie finden sich in rechtlich-institutionellen Zusammenhängen (Regelungen zum – auch medizinisch unterstützten – Geschlechtswandel sowie Eintragungen in Geburtsurkunden und Personal ausweisen) ebenso wie in sozialen Medien (70 Gender-Identifizierungen bei Facebook für BenutzerInnen) und in der Populärkultur (Filme und TV-Serien). Zu untersuchen ist in diesem Zusammenhang, welche weitreichenden Veränderungen sich hierbei in der sozialen Praxis und im größeren diskursiven Feld ergeben: Hierzu zählen Fragen nach einem impliziten neuen (oder auch älteren) Verhältnis zwischen (eher biologischem) sex und (eher soziokulturellem) gender, nach Verschiebungen im Bereich von Körperlichkeit und Begehren, nach impliziten Vorstellungen von voluntaristischer bzw. individualistischer Geschlechtlichkeit, nach politischen und ökonomischen Instrumentalisierungen, nach dem ambivalenten Verhältnis zur Medizin bei der Forderung nach sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung, nach Bezügen zu transrace bzw. transethnicity sowie nach Auswirkungen auf andere Differenzkategorien bzw. auf Intersektionalität insgesamt. Mögliche zu beteiligende Disziplinen: Kultur- und Literaturwissenschaften, Soziologie, Medizin, Geschichte, Rechtswissenschaften.
Konzeptionen und Zuschreibungen von Differenz, aus denen sich in der Summe Diversität ergibt, sind kulturabhängig bzw. historisch-kulturell variabel. Daraus ergibt sich im Umkehrschluss die Analyse entsprechender Differenzen manifestierender und Diversität erzeugender Diskurse und Praktiken als kulturwissenschaftlicher Anspruch – mit neuen erkenntnisleitenden und methodischen Fragestellungen. Dies gilt nicht allein für den synchronen, sondern auch für den diachronen, historisch angelegten Kulturvergleich. Die Nutzung des Diversitätsbegriffs für historische Analysen ist allerdings in den Geschichts- und Kulturwissenschaften relativ neu. Solche Untersuchungen geben Aufschluss über die Entstehung und den historischen Wandel bestimmter Diversitätskriterien in unterschiedlichen historischen Gesellschaften sowie über die an Zuschreibungsakten beteiligten Akteure und Institutionen. Sie können zudem auch die Interaktion und das Zusammenspiel unterschiedlicher Diversitätskriterien in bestimmten historischen Konstellationen beobachten und beschreiben. Hierzu ist zunächst eine Klärung des Potenzials dieses neuen historischen Ansatzes sowie seiner theoretischen und methodischen Implikationen wichtig. Eine konkrete Erprobung ist geplant für die Frühneuzeitforschung und für das 19. Jahrhundert; an der FAU existiert bereits seit mehreren Jahren eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe „Diversität historisch“, die sich im geplanten Zentrum engagiert. Beteiligte Disziplinen: Geschichtswissenschaft, Medizingeschichte, Kultur- und Literaturwissenschaften.
Die Wahrnehmung und Konstruktion von Differenz und Diversität wird in Zeiten sich intensivierender Migrationsbewegungen zugleich verwischt und neu virulent. Nationale und auch kulturelle Grenzen werden zunehmend als nicht mehr identitätskonstitutiv begriffen, während zugleich ein historisches und kulturelles Bewusstsein identitärer (Mehrfach-)Zugehörigkeiten neu definiert wird. Grenzziehungen und Grenzüberschreitungen werden in aktuellen Forschungen insbesondere im Bereich der Sozial- und Kulturwissenschaften theoretisch und methodisch neu gefasst. Durch eine interdisziplinäre Bearbeitung dieses Themenfeldes aus dem Blickwinkeln von Gender und Diversität besteht die Möglichkeit, sowohl unterschiedliche Diversitätskriterien und deren Interaktion in den Blick zu nehmen als auch eine kulturelle und historische Tiefenschärfe zu entwickeln, die für die Bewältigung aktueller Entwicklungen von Nutzen sein kann. Eine interdisziplinäre Kooperation kann auf den bereits an der FAU präsenten Forschungsaktivitäten zu Migration und Globalisierung aufbauen.
Die (Wieder-)Entdeckung des Körpers hat in den Sozial- und Kulturwissenschaften eine Reihe von Analysen hervorgebracht, die allesamt, wenn auch aus unterschiedlichen Perspektiven, auf den Zusammenhang von Körper und soziokulturellem Kontext verweisen sowie die wachsende Bedeutung des Körpers für die Ordnungsstrukturen auf unterschiedlichen Ebenen betonen. Gemeinsam ist den Analysen u.a., dass der Körper als historisch variabel und sozial geformt (und somit formbar) interpretiert wird. Der Diskurs über den Körper ist Teil des historischen Diskurses, in dem Natur und Kultur sowie Natur- und Geisteswissenschaften voneinander geschieden werden. Der Körper interessiert in den Sozial- und Kulturwissenschaften als Medium sozialen Handelns, durch das sich (Gruppen von) Individuen absichtsvoll in Szene setzen. Darin enthalten sind auch machtvolle Diskurse, die körperliche Differenz als Devianz sanktionieren, in denen also Vorgaben, Vorstellungen, Deutungsmuster und Wissensbestände enthalten sind, was als (a)normal, wünschenswert oder unerwünscht zu gelten hat. Mediale Körper(vor-)bilder lassen Körper dabei zum (Vor-)Bild gerinnen, verleihen ihm gleichzeitig Bedeutung und regulieren kulturelle Praktiken (Sport, Essverhalten etc.). Körperpraktiken sind immer auch ein Akt sozialer Positionierung, haben aktiv Teil an Differenzdiskursen und erzeugen somit Diversität. Fragen, die in einer interdisziplinären Perspektive zu beantworten wären, sind, wie der Körper als Bedeutungsträger in der Praxis wirksam wird, wie dieses Wissen kulturell erzeugt und in Formen, Regeln und Institutionen überführt wird, wie es sich verändert und welche Machtfunktion dabei den Diskursen zukommt. Beteiligte Disziplinen: Soziologie, Geschichtswissenschaft, Kultur- und Literaturwissenschaften, Medizin, Rechtswissenschaft.
Ein wichtiges Analysefeld der Wahrnehmung und Konstruktion von Diversität ist die Repräsentation, Verhandlung und Erprobung von Identitäten in verschiedenen Medien, Formen und Strukturen von den traditionellen und historisch früh verankerten Gattungen der Biographie und Autobiographie bis zu digitalen (Selbst-)Inszenierungen der Gegenwartskulturen. Versteht man autobiographische Textformate als soziale Konstruktionen, die in vielfältigen Interaktionsprozessen nach kontextgebundenen Regeln hergestellt werden, so sind sie das generative Prinzip, mit dem sich Gesellschaftsmitglieder als Subjekte in eine sich verändernde konkrete soziale Welt ‚einbauen’. Der seit Jahren zu beobachtende Boom an autobiographischen Veröffentlichungen u.a. aus den Bereichen Popkultur, Sport, Wirtschaft und Politik weist auf die besondere Relevanz des Feldes hin. Ziel einer interdisziplinären Perspektive auf die Medien der Selbstinszenierung in Gegenwartsgesellschaften wäre es, die Prozesse der sozialen (De- und Re-)Konstruktion, der Kommunikation und des Verschweigens sowie der (De-)Legitimation (von Sinn) zu rekonstruieren und die gesellschaftlichen Wirkungen dieser Prozesse zu analysieren. Die Einbeziehung anderer Kategorien von Diversität wie etwa Geschlecht, Alter und Behinderung ermöglicht eine genauere Erfassung der ‚Vermarktungs’- und Kommunikationsstrategien in dem je spezifischen Kontext massenmedialer Öffentlichkeit sowie des Einflusses öffentlicher Diskurse auf die Selbstthematisierung oder das (subjektive) Selbstbild. Beteiligte Disziplinen: Soziologie, Pädagogik, Psychologie, Kultur- und Literaturwissenschaften.